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Entblättern einer Rose (DER SPIEGEL 34/1950)
 
Entblättern einer Rose

DER SPIEGEL 34/1950
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44449517.html

Vier Bedingungen sollte das Stück erfüllen, nach dem Jürgen Fehling monatelang suchte: Es sollte ihn reizen, eine Glanzrolle für "die Gorvin" enthalten, mußte Staatsintendant Alois Johannes Lippl genehm und außerdem neu sein. "Das Stück muß noch geschrieben werden", unkten Pessimisten.

Sie irrten. Fehling fand des Spaniers Federico Garcia Lorcas "Granadiner Dichtung um das Jahr Neunzehnhundert" mit dem Doppeltitel "Donna Rosita" oder "Die Sprache der Blumen". Münchens Brunnenhoftheater sah zur Premiere seltene und neugierige Gäste, viele Theaterleute von westdeutschem Rang, Gustav Gründgens an der Spitze.

Lorca, in Deutschland vor allem durch seine Tragödien "Bluthochzeit" und "Bernada Albas Haus" theaterbekannt, hat ausgezeichnete Zensuren bekommen, posthum. Zu seinen Lebzeiten kümmerte sich kaum jemand um ihn.

Er wurde, relativ jung und unter relativ undurchsichtigen Umständen, zu Beginn des spanischen Bürgerkrieges, im Juli 1936, ermordet. In der ganzen Welt, bis auf Franco-Spanien, steht fest, daß er von Falangisten erschossen wurde. Die Einzelheiten seines Todes blieben selbst seiner Familie unbekannt. Mutter und Bruder, die über Frankreich nach USA flüchteten, lesen heute in Lorca-Biographien nie geahnte phantastische Details vom Leben und Sterben des Dichters.

Lorca-Uebersetzer Enrique Beck, machte kürzlich die Bekanntschaft einer Dame, die sich ebenfalls an Lorca übersetzerisch versucht. Ohne Rechte, aber mit der Begründung, einstmals Lorcas Geliebte gewesen zu sein. Beck lächelte maliziös: Der Dichter hatte sich nie besonders für das andere Geschlecht erwärmt.

Die Lorca-Legendenbildung wächst. Seine Werke - acht Bühnenstücke und etwa 400 Romanzen, Balladen und Gedichte sind bisher wieder aufgefunden worden - werden in der ganzen Welt unter verschiedenen Etiketten serviert.

In der Hemisphäre des Hammers und der Sichel wird der Tote als volksspanisches OdF und edler KP-Dichter gefeiert. Auf der übrigen Halbkugel genießt er als demokratischer Märtyrer Ansehen. In der Welt des Kreuzes sieht man in ihm, bei allen Bedenken, den Wiedererwecker einer echten katholischen Volksmystik der Moderne. Der englische Ex-Marxist Stephen Spender, Poet und Kritiker, nannte ihn einen "Reaktionär". Franco läßt ihn als Sänger der neuen imperialen Hispanität feiern.

"Alles Unsinn", sagt Enrique Beck. "Er war der ideale Anarchiker. Er gehörte überhaupt keiner Partei an." Er war ein Spanier.

Dies ist der einzige Punkt, wo ihm sein Uebersetzer-Rivale Jean Gebser zustimmt. "... im tiefsten Grunde war er verantwortungslos als Mensch", deutet er den Dichter in seinem Lorca-Buch (Lorca und das Reich der Mütter, Deutsche Verlagsanstalt).

Ueber Lorcas literarischen Rang gibt es kaum Streit. Wohl aber zwischen den Uebersetzern einen Kampf um seinen Nachlaß. Dieser Kampf schlug Wellen bis in das Prämierenfoyer des Brunnenhoftheaters.

"Bajuwarische Unverschämtheit", erhitzte sich Uebersetzer Beck noch zwischen dem zweiten und dritten Läuten. "Ich werde die Programmhefte beschlagnahmen lassen."

Er ließ es. Streng juristisch aber hat Beck das entscheidende Eisen im Feuer: Er erhielt von der Lorca-Familie die rechtsgültig verbriefte Alleinautorisation für alle deutschen Uebersetzungen und verfügt über alle Lorca-Rechte im deutschsprachigen Gebiet.


"Einzig autorisiert", fügt er deshalb jedem Zeitungsabdruck bei. Und Staatsschauspieldramaturg Max Hoegel hatte im Premieren-Programmheft einen Abschnitt aus der Lorca-Biographie Jean Gebsers und noch zwei Gedichte in der Gebser-Uebertragung abgedruckt.

Gebser sagt, er habe Lorca selber gekannt und sei von ihm direkt autorisiert worden. Unterlagen hat er angeblich keine, und auch Lorcas Familie hat seinen Namen nie gehört. Doch weist Gebser darauf hin, daß seine in der Berliner Rabenpresse kurz vor Lorcas Tode erschienene Lyrik-Anthologie bereits einige Lorca-Gedichte enthält.

"Diese Uebersetzungen sind philologisch völlig unhaltbar", erklärt Beck. "Gebser hat sie jetzt, nachdem mein Lorca-Gedichtband bei Rowohlt erschienen ist, korrigiert. Ich werde ihm das nachweisen". Eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs, Plagiats und Verletzung der Urheberrechte ist fällig.

Enrique Beck hat Lorca zugegebenermaßen nie kennengelernt. Er begann, sich mit Lorcas Werken erst ernsthaft, aber zunächst "ohne Rechte, ohne Absichten" zu beschäftigen, als er während des größten Teils des Bürgerkrieges Zwangsmuße auferlegt bekam.

Als Trotzki-verdächtiger Emigrant und Mitglied einer marxistischen Splittergruppe im republikanischen Spanien verbrachte er den Bürgerkrieg in Gefängnissen, Lazaretten und in Ehrenhaft, Lorca-Bände in der Rocktasche. Als man ihm nach einer mißglückten Flucht den Hochverratsprozeß machen wollte, war der Krieg aus.

Seitdem ist Beck Lorca-manisch. Als ungern geduldeter "Illegaler" mit kurzbefristeter Toleranzbewilligung, ständigem Arbeitsverbot und 70 Unterstützungsfränkli hatte er von 38 bis 44 in der Schweiz Zeit für seine Uebersetzungen. "Die Bluthochzeit" liegt heute in der achten Beck-Fassung vor, Lorcas Romanzen hat Beck siebzehnmal, immer wieder von vorn übersetzt.

Verlegen durfte er damals nichts. Als er es trotzdem versuchte, fand er bei allen Verlegern Ablehnung: "Wer ist schon Lorca?" Der einzige Verlag, der zugriff und ohne Genehmigung Lorca-Romanzen druckte, wurde polizeilich geschlossen. Nicht wegen der Lorca-Ausgabe. Er entpuppte sich als Deckunternehmen für eine KP-Paßfälscherzentrale. Die Romanzen schimmeln in einem Schweizer Polizeikeller.

1944 stiegen Becks Chancen. In Zürich kam "Die Bluthochzeit" als deutschsprachige Premiere heraus. Ueber die Leonhard-Steckel-Inszenierung äußerte sich Beck so freimütig-kritisch, daß ihm der Regisseur nach Basel nachreiste, nur um ihn zu ohrfeigen. Der Zweck der Reise wurde erfüllt.

Sechs Jahre später hat die Lorca-Konjunktur auch Deutschland erreicht. Enrique Beck kann jetzt mit seinen Rechten geizen und handeln, die er vorher so lange und so vergeblich an den Mann zu bringen suchte.

Zu Fehling, der "Donna Rosita" und der Gorvin sagte er bedenkenlos ja. Bis auf kleinste Finessen hatte der ewig nörgelnde, ewig kritische Lorca-Mane nichts auszusetzen. "Fehling hat die Musikalität Lorcas begriffen", jubelte er beglückt. Das Publikum zeigte sich zwiespältiger.

Lorca, Lyriker, Dramatiker, Zeichner und Musiker, zieht in der "Donna Rosita" alle Register auf einmal. Er verzaubert, besingt, karikiert. Die Bühnenpolyphonie verwirrt. Sie läßt das Fehlen jeglicher Handlung im üblichen Sinn beinahe vergessen.

An Stelle einer dramatischen Exposition setzt Lorca seine Trochäen von der rosa mutabilis:

Wenn sie sich am Morgen öffnet,
ist sie rot wie Blut; der Tau
netzt sie nicht, aus Furcht zu brennen.
Ist die Blüte mittags offen,
dann ist hart sie wie Koralle.
Um zu sehen, wie sie leuchtet,
guckt die Sonne durch das Fenster.

Wenn die Vögel in den Zweigen
fangen an, ihr Lied zu singen,
wenn der Nachmittag dann sinkt
in die Veilchen hin des Meeres.
wird sie weiß wie eine Wange.
weiß wie Salz und voller Anmut.

Bläst die Nacht ihr sanftes Horn
aus Metall und kommen Sterne
während fort die Lüfte zieh'n,
hin zum Spalt der Dunkelheit,
fängt sie an, sich zu entblättern.

Jeder der drei Verse beschreibt den Vorgang in einem der drei Akte. Donna Rosita ist in dem Symbol der Blumensprache die rosa mutabilis, die sich entblättert.

Ueber 25 qualvolle Jahre hinweg klammert Rosita sich in mystischer Treue an die fadenscheinige Fiktion ihrer Liebe zu einem Mann, der niemals wiederkehrt. Die drei Akte sind die drei Stationen dieses Weges: Morgen, Nachmittag und Nacht, Knospen, Blühen, Verwelken. Das Ende: Der späte Zusammenbruch von Rositas Scheinwelt und der Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen Existenz.

Lorca überlädt die eintönige Konsequenz des Vorganges mit zeitkritischen Dialogen, mit weit ausholenden lyrischen Betrachtungen. Jedes Gefühl, jede Regung wird in die "Sprache der Blumen übersetzt und beschrieben. Eine große Wortsymphonie über ein einziges karges Motiv.

Joana Maria Gorvin ließ die Wandlung von zweieinhalb Jahrzehnten in zweieinhalb Stunden wie im Zeitraffer abrollen, von der ausgelassenen Liebenden bis zur erstarrten Halbtoten. Elisabeth Flickenschildt war der einzig wirksame menschliche Kontrapunkt, eine derb-diesseitige, aber gespensterfürchtige Haushälterin.

Jürgen Fehling baute sich aus dem Treibhaus der Blumensymbolik einen Vogelkäfig, in dem Figuren wie betäubte Schmetterlinge herumflattern. Zum Schluß blies der Wind durch das leergepfändete Haus, die Menschen, Blumen oder Schmetterlinge waren daraus geflohen, und die Türen klappten mit einem bösen, harten Geräusch gespenstisch auf und zu.

Der Zuschauerraum hielt den Atem an. Ueber Fehlings Gesicht lief ein kurzes Lächeln.


DER SPIEGEL 34/1950
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