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H.E. Beck über "Bernarda Albas Haus"
 
(aus: Enrique Beck „Über Lorca – Aufsätze und Anmerkungen“, Basel 1981) BERNARDA ALBAS HAUS I Mit rascher Schere schnitt Guillermo de Torre, (vorläufig) Herausgeber des Oeuvres Lorcas in spanischer Sprache, die Silhouette einer «Tragödie zweier Frauen um einen Mann»: Reduktion auf zwei Kontrastfarben, die lockt, auch dieses Stück noch an das ohnehin schon zu lange Garn objektiv belangloser Eifersuchtsdramen zu knoten; sie verführt zum Stempel, zum Etikett. Wohl entbricht ein mit Eifersucht besonders stark getränkter Affekt zweien der fünf Töchter Bernardas, aber die Eifersucht wirkt nicht konstitutiv auf die objektive Aussage; die wurzelt in anderer Schicht: Lorca kündigt eine «Frauentragödie in spanischen Dörfern» an — Tragödie vieler spanischer Frauen in vielen spanischen Dörfern — Tragödie der sozialen Rückständigkeit in der ihr nach Maß geschneiderten «Moral», deren einziger Zweck die Hinderung (relativ) freier menschlicher Willensbildung und Gefühlsbindung ist, auf daß die Tatsache (graduell) versklavender ökonomisch-sozialer Struktur verdunkelt, als Ursache schwerer (psychischer und materieller) Konflikte nicht durchschaut und zum Nutzen weniger konserviert werde. Bernarda Albas Haus, Bereich absolutistischer Gewalt über Verstand, Gefühl, Leib, Habe derer, die darin «leben», ist ein Symbol, das in nichts an Gültigkeit einbüßt mit der Verlagerung des geographischen Schauplatzes, unterschiedlichen Verhältnissen und Unterdrückungsmethoden: In dieser Gültigkeit bestätigt sich die Größe der geistigen Konzeption. Somit bedeutet es für das allgemeine Verständnis keine besondre Anforderung, daß die Problematik aufsteigt aus einem Haus eines Dorfes in Andalusien; diese Problematik erwächst — es sei wiederholt — überall, wo (modifizierte) Voraussetzungen sie modifiziert hervorbringen; lediglich die Erscheinungsformen sind andre, den Konflikten werden andre Züge zuteil: Die Wurzeln sind dieselben! Und es ist das Wurzelwerk, zu dessen tief liegenden Verzweigungen Lorca seinen Spaten hinabstößt; drum gilt das Drama ohne Einschränkung, bleibt fern jeder provinzlerischen Heimatkunst (ä la Anzengruber zum Beispiel), «hebt sich ab» — um aus Günter Blöckers kritischen Aperçus anläßlich der Aufführung der «Bluthochzeit» am Württembergischen Staatstheater Stuttgart zu zitieren — «vom Typ des feuilletonistischen Dramas, das gegenwärtig das Feld beherrscht» («Der Tagesspiegel», Berlin). II Bernarda Alba ist das inkarnierte Prinzip jener Moralkonstruktion, daran zerbricht, was leben will und keinen Weg finden kann, weil ihm mittels Fiktionen Verstandeseinsicht aberzogen oder verdeckt wird; Bernarda Alba ist nicht Mutter, sondern (quasi — matriarchalische Despotin —) selbst, (wie nahezu alle Despoten) durchaus nicht frei von Trieben, die sie in andren unterdrückt, deshalb um so mißtrauischer und starrherziger gegen ihre Umgebung; sie ist subjektiv nicht «böse», sondern selbst nur Ausdruck einer Gewalt, die sie auch vergewaltigt hat; kein starker, sondern ein schwacher Mensch, der die Natur der Dinge zwar kennt, aber nicht anerkennt: Produkt, Spiegel, Echo der zweck-«moralischen» Macht («Ich bedenke nicht — ich befehle»), darum a priori Verliererin. Bernardas Mutter Maria Josefa wird (als Symbol der Nur-Natürlich-Mütterlichen und damit als antipolares Prinzip) von Bernarda — und von ihr aus betrachtet: folgerichtig — für irrsinnig erklärt und in ein Zimmer eingeschlossen, aus dem sie in ganz bestimmten Situationen (fruchtlos) auszubrechen versucht: Sinnbild, Aus- und Ansage von Entwicklungsentsprechungen im Innern der zerquältesten Töchter Bernardas, Adela und Martirio, die indes ihres Daseins Erfüllung und Rettung — verquickt mit einem vagen Freiheitsempfinden von geringer geistiger Weite — einzig in den ihrer (in jeder Hinsicht mageren) Halbschwester Angustias zur Ehe zugelassenen Mann zu projizieren vermögen: Sie kämpfen um ihn als um ein von ihnen ad hoc imaginiertes falsches Symbol, dessen individueller «Besitz» dem «Besitzenden» — der aber ein Besessener ist!, kein Besitzender ... — Erlösung zu versprechen scheint: sie zerfleischen sich um Pepe el Romano, «den» Mann, ungeheuerlich gegenwärtig durch seine Abwesenheit, erbärmlich substanzlos (deshalb mit meisterlichem dramaturgischem Können der Bühnensichtbarkeit entzogen), schon durch einen bloßen Fehlschuß aus Bernardas Flinte in sein Nichts zurückgejagt, und — ein zergehendes Phantom — in diesem Augenblick seine Suggestionskraft mittelbar (durch eine Lüge Martirios) bis zur Selbstvernichtung Adelas potenzierend. Die anarchische Rebellion, zum Kampf aller gegen alle entartet, muß scheitern, scheitert: womit noch einmal hervorgehoben wird, daß es sich nicht um die Tragödie einer Leidenschaft schlechthin, nicht um eine Tragödie der lauten Oberfläche handelt, sondern um ein Bloßlegen von Ursachen und Folgen unterdrückter, blind sich entkettender Instinkte (erzwungen) isolierter Individuen, die mit gleichen (falschen) Mitteln Gleichem zustürzen — kaum bewußt, brodelnd, gurgelnd, innerhalb einer genau umschriebenen Gesellschaftsschicht, deren überkommene, übernommene, irreale, denaturierende Zweckformeln mit ernster Ironie und kritisch widerlegt werden. Eine Auflösung von Formeln, aus deren psycho-physischen Übersetzungen Widersprüchlichkeiten und Spannungen hervorgehen müssen, versucht — mit Kompromissen, die nicht angenommen werden können, weil auch sie die realen Kausalitäten nur sehr ungenügend berücksichtigen — La Poncia, die ältere Magd. Sie ist unter allen die einzige, die sich eine Art — wenn auch begrenzte, intellektuell unbedeutende Urteilsfähigkeit erworben hat, gewissermaßen schlau gewetzt am (scheinbar) unverrückbaren Stein lebenslanger, elender sozialer Abhängigkeit; sie wittert das Katastrophische in der sauerstoffarmen Atmosphäre dieser Bauernfamilie, müht sich, es durch das (untaugliche) Mittel des Lavierens zwischen dem zweckmoralischen, diktatorischen Anspruch Bernardas und dem Anspruch der diktatorischen Instinkte in Adela und in der wegen eines Körperfehlers zwiefach leidenden Martirio abzuwenden und wird von Bernarda («Arbeiten und zu allem schweigen — das ist die Pflicht derer, die vom Lohn leben») wie von Adela («Schon zu spät. Nicht über dich, eine Magd, sondern über meine Mutter würde ich hinweggehen») abgewiesen. Neben La Poncia setzt eine andre Magd einen scharfen Akzent auf die Anklage; auch sie dient unter entwürdigenden Bedingungen und stellt — vom verstorbenen, mit allen Ehren bestatteten (zweiten) Mann Bernardas insgeheim als Lustobjekt mißbraucht — in einem außergewöhnlichen Monolog eine andre Verkrümmung der Sexualmoral bloß. III Das psychologische Raffinement drängt sich nicht vor, nicht auf. Es ist organisch in die Dialoge gebunden, die alle Dimensionen und ihre unablässigen Veränderungen ausmessen, differenzieren, facettieren und faßlich machen, ohne die Eselsbrücke einer geschminkten Diktion, ohne geblähte Effekte. Lorca hebt sein Wort, seinen Stil aus dem Schacht des Widerstreits und synthetisiert Auseinanderstrebendes in einem unprogrammatischen Realismus, dessen Kunstform — mit dem Sprachmeißel reliefiert — den gern verwischten Unterschied zwischen (nur Oberfläche bleibendem und sich mit sich selbst ausdrückendem) Naturalismus und Realismus unverwischbar macht. Die Wendung zu diesem Stil wird 1935 in der «Romantischen Komödie» der Ehelosigkeit «Doña Rosita bleibt ledig» — einer liebenswürdigen, ergreifenden Fin-de-Siècle Variante des hier skizzierten Themas — sichtbar; in «Bernarda Albas Haus» ist er mit sublimer Beweglichkeit weiterentwickelt worden. Lateinisch klar begriffene Auffassung von Gerechtigkeit, das Gefühl echter religio, steht hier — damit auch, als Kunstwerk, stilistisch; selbstverständlich! — gegen jene confessio, die zur Zeit — wie in allen «schwierigen» historischen Perioden — reichlich oft von sogenannten «Dichtern» eines «Glaubens» mit Erfolg feilgehalten wird — benebelnd statt entnebelnd —; eine umspannende religio der Humanität, aus Geist und Erbarmen mit kritisch scharfer Optik eine Sicht eröffnend; eine Menschlichkeit, die nicht einen — bestenfalls — metaphysischen Schwaden als sozusagen realistische Panazee geriert, steht hier gegen eine zertrennende confessio, die — bestenfalls — einer verworrenen, sektiererischen «Haltung» zugeschrieben werden kann — das heißt: soweit sie einem verwirrenden Zweck nicht wissentlich vorgespannt ist. Am 19. Juni 1936 beendete Federico Garcia Lorca die Niederschrift der Tragödie; einen Monat später wurde er von spanischen Faschisten ermordet. [Erschienen 1948]
 
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