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Die Schwierigkeit, den Romancero gitano zu übersetzen
 
Schon der Titel Romancero gitano kann uns erste Anhaltspunkte geben. Ein Titel, der sofort in aller Munde war, vereinte er doch die Erinnerung an die alten spanischen Romanzen, eine Gattung, in der sich auch die grossen Barockdichter, ein Góngora, ein Lope, ein Quevedo versucht hatten, mit der volkstümlichen Überlieferung Lorcas andalusischer Heimat Una malagueña fue a Sevilla a ver los toros. En la mitad del camino la cautivaron los moros. Auch Lorca verwendet den Romanzenvers, baut kurze, einfache Sätze, die häufig nur eine Zeile umfassen, aber gerade deshalb umso stärker wirken. Seine Diktion ist aber nicht nur bewusst naiv, sondern zugleich kunstvoll und schwierig. Kaum angedeutete Geschehensreste werden zu höchst komplexen Strukturen verdichtet. Neben einfachen Beschreibungen tauchen unvermittelt kühne Metaphern und Stilfiguren auf, die im Kontext aufleuchten wie funkelnde Edelsteine an einem schlichten Schrein. Gerade diese raffinierte Mischung, die den Romancero ebenbürtig neben Villons Testament oder Shakespeares Sonnets treten lässt, bedeutet für den Übersetzer ein schier unüberwindliches Hindernis, weil es sich als äusserst schwierig erweist, den schmalen Grat zwischen den beiden Polen zu treffen und über weite Strecken einzuhalten, ohne in Platitüden abzustürzen oder sich in der dünnen Höhenluft eines falschen Pathos zu verlieren. Die von uns behandelten Punkte Sinnzusammenhang, Rhythmus und Stimmungslage reagieren auf eine Veränderung ähnlich wie die durch einen Faden verbundenen Eckpunkte eines Dreiecks. Jede Änderung des einen hat unweigerlich Änderungen der beiden anderen zur Folge. Becks metrische Entscheidung für den fallenden Vierheber hat die bereits angedeuteten Konsequenzen. Einmal den Zwang, zu Füllwörtern zu greifen, wobei wir ihm zugestehen, dass er bei ihrer Auswahl, zumal der attributiven Adjektive, recht umsichtig vorging. Nur eines kann dabei nicht ausbleiben: Lorcas nerviger Stil wird verwässert. Damit in eins geht Becks fatale Neigung zu pompösen Wortgebilden; er entfernt sich so von der naiven Schlichtheit, die die Verse des Originals auszeichnet. Die verheerendsten Auswirkungen treffen indessen den Satzbau. Lorcas Sätze sind syntaktisch von einem kaum zu überbietenden Lakonismus. Eine Übersetzung erscheint zunächst das Einfachste von der Welt. Aber sein unglückseliger Verzicht auf immerhin die Hälfte der rhythmischen Möglichkeiten zwingt Beck ständig zu syntaktischen Verrenkungen. Das Ergebnis ist, wie schon vor anderer Seite bemerkt, weniger ein eingedeutschter als ein barockisierter Lorca. Und genau das sollte doch wohl vermieden werden. Um nicht missverstanden zu werden: Ich mag Becks tönende Verskaskaden und ihre drängenden Rhythmen. Doch es geht hier ja weniger um eine dichterische Nachschöpfung als um die adäquate Übersetzung des Romancero gitano, und als die kann man Becks Versuch bei allem Wohlwollen kaum bezeichnen. Zusammenfassung des Artikels von Kurt Reichenberger: Übersetzungsprobleme, dargestellt im Hinblick auf García Lorcas ‚Romancero gitano‘. Übersetzung und Rezeption García Lorcas im deutschen Sprachraum. Hrsg. Ernst Rudin. Kassel: Reichenberger, 1997. (S.112-118)
 
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