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Volk unter Waffen (NZZ vom 16.10.2010)
 
Volk unter Waffen
Antonio Machado über den Spanischen Bürgerkrieg – Abschlussband der Werkausgabe

16. Oktober 2010, Neue Zürcher Zeitung
Kersten Knipp
http://www.nzz.ch/magazin/buchrezensionen/volk_unter_waffen_1.8017483.html

Als letzter Band der Machado-Ausgabe ist im Zürcher Ammann-Verlag – den es mittlerweile nicht mehr gibt – «La Guerra / Der Krieg» erschienen. Die Sicht der Dinge, wie er sie propagiert, ist der historischen Situation geschuldet, in der die hier versammelten Texte entstanden.

Verse gibt es, die hört man nicht ohne Schaudern. Ihres Inhalts, aber auch ihrer klassischen und zugleich eingängigen Aura wegen. Es dürfte nicht die leichteste dichterische Übung sein, solche Verse zu schaffen. Mag sein, dass auch etwas dazugehört, das man früher «Inspiration» nannte, die Gnade eines lichtvollen Moments. Einen solchen Moment dürfte Antonio Machado kurz nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Juli 1636, kurz auch nach der Ermordung seines Freundes Federico García Lorca, durchlebt und durchlitten haben. García Lorca wurde von den Aufständischen am frühen Morgen des 19. August 1936 ermordet. Es dauerte nur wenige Wochen, bis Machado sein vielleicht berühmtestes Gedicht veröffentlicht hatte: jene Strophen über den Tod des Freundes mit dem dreimal abgewandelten Kehrreim «el crimen fue en Granada, en su Granada!» («Das Verbrechen geschah in Granada, seinem Granada!») In teils ungefährer, teils sehr drastischer Sprache schildert Machado den Akt der Exekution – und schenkte der republikanischen Sache so eines ihrer schillerndsten und der Nachwelt eines der schön-schaurigsten Gedichte.

Insofern hat Fritz Vogelgsang, der Herausgeber und Übersetzer dieses letzten Bandes der Werke Machados, eine kluge Entscheidung getroffen, dieses Gedicht ganz an den Anfang des «La Guerra / Der Krieg» überschriebenen Buches zu stellen. Klug auch darum, weil sich in ihm jene eigentümliche Mischung aus Pathos und Schrecken findet, die zu grossen Teilen auch das Buch durchzieht. Machado, der im Februar 1939 auf der Flucht vor Francos Truppen in Südfrankreich starb, umhüllt die Spanische Republik in seinen Texten mit einer beinahe schon heiligen Aura. Einige hübsche Formulierungen gelingen ihm dabei, so, wenn er die republikanischen Kämpfer beschreibt: «nicht eigentlich Soldaten, sondern Volk in Waffen».

Doch der Begriff «Volk» führt geradewegs hinein in Machados tief ins romantische 19. Jahrhundert weisende Mythologie. Er stehe «mit ganzem Herzen auf der Seite des Volkes», schreibt er in einem Brief, und an anderer Stelle: «Für das Volk schreiben – sagte mein Meister –, was täte ich lieber als das!» Der Meister, das ist Juan de Mairena, Machados literarisches Alter Ego, eine Kunstfigur, der er im Laufe der Jahre Hunderte von Seiten widmete. Eigentlich ist de Mairena ein sympathischer Skeptiker, doch immer, wenn er auf das «Volk» zu sprechen kommt, durchzuckt ihn das Pathos angeblicher Ursprünglichkeit: «Unter Spaniern findet man das wesentlich Menschliche mit der grössten Reinheit und den klarsten Ausprägungen in der Seele des Volkes. Ich weiss nicht, ob man dasselbe von anderen Ländern sagen kann.»

Mehr als alles andere sind solche Worte wohl Durchhalteparolen in schwieriger Zeit, dem Willen entsprungen, sich einzubringen in die republikanische Sache, den Seinen Mut zuzusprechen, Worte zu finden, denen sich Hoffnung abgewinnen lässt, die Gewissheit, für die richtige Sache zu kämpfen. So spricht, neben der Stimme des Dichters, aus diesem Band vor allem auch die Dramatik der Verhältnisse: ein mörderischer Bürgerkrieg, bei dem es ums Ganze geht. Dass hier allein der Stärkere, der besser Ausgerüstete gewinnt, scheint klar, jedenfalls aus der Rückschau. Ist aber der Krieg tatsächlich die Ultima Ratio?

Hier geht der Dichter auf Distanz, wird zu einem Theoretiker des Friedens, der heute vielleicht einem Think-Tank in Uno-Diensten zuarbeiten würde. Denn warum brechen Kriege aus? Oder anders gefragt, wie verhindert man, dass sie ausbrechen? «Wenn du den Frieden willst, sorge dafür, dass deine Feinde nicht den Krieg wollen; anders ausgedrückt: Sorge dafür, keine Feinde zu haben.» Es komme darauf an, seine Nachbarn mit Liebe und Gerechtigkeit zu behandeln, fährt Machado alias Mairena weiter fort. 70 Jahre später beginnt man diesen Satz als wohl einzigen Weg zu einem globalen Frieden zu schätzen. Machado äusserte ihn inmitten der Stahlgewitter über der spanischen Halbinsel. Keine schlechte Leistung für einen Dichter, der seinen pathetischen Überschwang am Ende in brauchbare politische Sentenzen verwandelte.

Antonio Machado: La Guerra / Der Krieg. Schriften aus den Jahren des Bürgerkriegs. Herausgegeben und aus dem Spanischen übertragen von Fritz Vogelgsang. Ammann-Verlag, Zürich 2010. 320 S., Fr. 54.90.

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