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Sühne unterm Olivenbaum (NZZ 30.10.09)
 
Sühne unterm Olivenbaum
Federico García Lorcas sterbliche Überreste werden in Südspanien ausgegraben

(Brigitte Kramer) Geophysiker, Archäologen und Gerichtsmediziner beschäftigen sich derzeit mit den Resten des grossen spanischen Dichters und Dramatikers Federico García Lorca. Er wurde 1936 in der Nähe der andalusischen Stadt Granada erschossen, von Mitgliedern der faschistischen Franco-Partei.

An der Stelle steht ein Gedenkstein mit der Aufschrift «Lorca eran todos» (Alle waren Lorca). Gemeint sind die von Nachfahren-Vereinigungen auf 150 000 geschätzten Bürgerkriegsopfer. Doch die Kinder und Enkel sind sich uneins. Seitdem das oberste spanische Gericht vor rund einem Jahr die Hebung der Massengräber gerichtlich angeordnet hat, um Beweise für mögliche Verbrechen gegen die Menschheit zu finden, steht Spanien auf den Hinterbeinen. 70 Jahre nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs herrschen zwischen Nachkommen der Republikaner und Faschisten noch immer Berührungsängste..

Der erste Spatenstich bei Granada gleicht deshalb dem Aufstechen einer alten Wunde. Denn obwohl andernorts schon Massengräber gehoben und Opfer angemessen bestattet wurden, hat das Poeten-Grab besondere Bedeutung. Federico García Lorca war zu Lebzeiten und ist seit seinem gewaltsamen Tod im Alter von 38 Jahren ein weithin verehrter Mann, dessen Stücke «Das Haus der Bernarda Alba» oder «Bluthochzeit» ein Tribut an die Kultur des spanischen Volkes sind. Sie füllen die Theater bis heute.

Seine Gedichte gehören zur Pflichtlektüre in spanischen Schulen. García Lorca war Republikaner, Homosexueller, Intellektueller. Seine Verhaftung steht für das Ende eines freien Landes, das von Franco 40 Jahre lang geknebelt wurde; seine Erschiessung symbolisiert den Tod der progressiven Zweiten Spanischen Republik (1931–36).

Deswegen befürchtet die Regionalverwaltung von Granada nun Medienrummel und Vandalismus. Monatelang wurden der Schutz der Privatsphäre und das öffentliche Interesse gegeneinander abgewogen. Erst vor kurzem erteilten die Neffen des Dichters unter Vorbehalten ihre Einwilligung zur Ausgrabung. Was die Archäologen hinter verschliessbaren Zeltwänden und unter permanenter Bewachung in den kommenden Tagen finden werden, ist allerdings unklar. Der irische Hispanist und Lorca-Biograf Ian Gibson hat die Stelle vor Jahren nach Augenzeugenberichten ausfindig gemacht. Demnach wurden an der Landstrasse von Víznar nach Alfácar kurz vor Anbruch des 19. August 1936 zwei Wegelagerer, ein Lehrer, ein Steuerbeamter und der Dichter im Scheinwerferlicht eines Autos erschossen. Ihre Leichen sollen in einem schmalen, tiefen Grab liegen, alle fünf übereinander, am Stamm eines Olivenbaumes, der heute noch steht.

Gemäss anderen Aussagen soll in den fünfziger Jahren ein Arbeiter in der Nähe Reste eines menschlichen Skeletts gefunden haben. Die Maultiere scheuten, der Mann bremste den Pflug und holte den Grundbesitzer, wie ein Anwohner der Gegend Gibson erzählte. «Die Knochen waren schon ganz gelb. Sie haben sie rausgeholt und weggeworfen.»

Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter:
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