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Plauderei über Theater
 
(Aus: Federico Garcia Lorca, Die dramatischen Dichtungen. Deutsch von Enrique Beck. Insel Verlag, Wiesbaden 1954.) Liebe Freunde! Vor langem schon legte ich das strenge Gelübde ab, jede Art Ehrungen, Bankette oder Feiern, die man für meine bescheidene Person veranstalten würde, abzulehnen. Erstens, weil ich weiß, daß mit jeder einzelnen ein Stein auf unser literarisches Grab gelegt wird, und zweitens, weil ich gesehen habe, daß es nichts Trostloseres gibt als die kalte Ansprache zu unserer Ehre und keinen kläglicheren Augenblick als den des organisierten - wenn auch wohlmeinenden - Beifalls. Zudem glaube ich - und das ist geheim -, daß Bankette und Ehrenurkunden dem Menschen, der sie annimmt, Pech und Unglück bringen; Pech und Unglück, die aus der bequemen Haltung der Freunde entstehen, die da denken: "Nun haben wir unsere Schuldigkeit für ihn getan."Ein Bankett ist eine Vereinigung von Berufsleuten, die mit uns essen, und an dem die Menschen teilnehmen - Glück im Spiel des Zufalls eingeschlossen -, die uns im Leben am wenigsten leiden können. Ich würde für Dichter und Dramatiker statt Ehrungen Angriffe und Herausforderungen organisieren, wo man uns schneidig und hitzig fragen sollte: »Warum bist du nicht fähig, die Schwermut des Meeres in einer Person auszudrücken? - Warum wagst du nicht, von der Verzweiflung der einander feindlichen Krieger zu erzählen?« Höchste Anforderung und Kampf stärken die Seele des Künstlers, die durch billige Schmeicheleien verweichlicht und zerstört wird. Die Theater sind voll trügerischer, mit Treibhausrosen bekränzter Sirenen, und das Publikum ist befriedigt und klatscht Beifall, derweil es Sägemehlherzen sieht und nur von den Lippen huschende Dialoge hört. Will aber der dramatische Dichter sich vorm Vergessen schützen, dann darf er die Rosenfelder nicht vergessen, die von der Morgenfrische benetzt werden, nicht jenen Tauber, der von einem geheimnisvollen Jäger verwundet ward und im Schilficht einen Todeskampf kämpft, ohne daß sein Seufzen gehört wird. Auf der Flucht vor Sirenen, Glückwünschen und falschen Worten habe ich keine Ehrungen angenommen, als Yerma uraufgeführt wurde; aber ich habe die größte Freude meines kurzen Autorendaseins empfunden, als ich erfuhr, daß die Madrider Theaterfamilie die große Margarita Xirgu - diese Schauspielerin mit makelloser künstlerischer Laufbahn, Leuchte des spanischen Theaters, bewunderungswürdige schöpferische Darstellerin - um eine Sondervorstellung gebeten hat, um sie und ihre Truppe zu sehen, die ihr so glänzend zur Seite steht. Für solche Teilnahme und Achtung, die das für eine bemerkenswerte theatralische Anstrengung bedeutet, danke ich heute, da wir zusammen sind, allen auf das innigste und aufrichtigste. Ich spreche heute abend nicht als Autor, nicht als Dichter, nicht als einfacher Beobachter des reichen Panoramas des menschlichen Lebens, sondern als glühender Verehrer des Theaters der sozialen Aktion. Das Theater ist eines der ausdrucksvollsten und nützlichsten Mittel, um ein Land aufzubauen, und das Barometer, das seine Größe und seinen Abstieg anzeigt. Ein empfindliches und in allen seinen Gattungen gut ausgerichtetes Theater kann in wenigen Jahren die Empfindsamkeit des Volkes verändern; ein verlumptes Theater, darin die Hufe die Flügel ersetzen, kann eine ganze Nation verplumpen und einschläfern. Das Theater ist eine Schule des Weinens und des Lachens und eine freie Tribüne, auf der die Menschen alte oder irrige Morallehren deutlich zeigen und durch lebendige Beispiele ewige Regeln des menschlichen Herzens und Gefühls ausdrücken könnend Schauspieler und Autoren in der Hand lediglich kommerzieller Unternehmen sind, die frei und ohne literarische oder in irgendeiner Hinsicht staatliche Kontrolle schalten - Unternehmungen bar jedes Urteils, jeder irgendwie gearteten Garantie -, gehen Schauspieler, Autoren und das ganze Theater von Tag zu Tag mehr und mehr und rettungslos zugrunde. Das köstliche, leichte Theater der Revue, des Vaudeville und des Schwanks, dieser Gattungen, deren leidenschaftlicher Zuschauer ich bin, könnte sich noch erhalten und sogar retten; aber das Stück in Versen, das geschichtliche Stück und die sogenannte hispanische Zarzuela (Singspiel) werden täglich mehr Rückschläge erleiden, weil sie zu den Gattungen gehören, die besonders hohe Anforderungen stellen; sie könnten wirklichen Neuerungen sich erschließen, aber es gibt keine Autorität, keinen Opfermut, um sie bei einem Publikum durchzusetzen, das man mit Überlegenheit zügeln, dem man bei vielen Gelegenheiten widersprechen und dem man entgegentreten muss. Das Theater muss sich beim Publikum durchsetzen, nicht das Publikum beim Theater. Um das zu erreichen, haben Autoren und Schauspieler eine große Autorität sich anzueignen, koste es, was es wolle; denn das Theaterpublikum ist wie die Schulkinder: der strenge, ernste Lehrer, der etwas von ihnen verlangt und gerecht ist, wird verehrt, und die Stühle der zaghaften, hudelnden Lehrer, die nicht lehren und nicht lernen lassen, werden mit grausamen Nadeln gespickt. Man kann das Publikum belehren - es sei festgestellt, daß ich nicht Volk sage sondern Publikum; man kann es belehren: ich habe vor Jahren erlebt, wie man Debussy und Ravel Fußtritte gegeben hat, und ich war später Zeuge der lärmenden Ovationen, die ein breites Publikum den früher abgelehnten Werken bereitet hat. Diese Autoren wurden von einem hohen, maßgeblichen Gesichtspunkt aus durchgesetzt, der dem des Publikums überlegen war; so wie Wedekind in Deutschland, Pirandello in Italien und viele andere. Das muss zum Besten des Theaters und für die Ehre und die Rangordnung der Schauspieler getan werden. Man muss eine würdige Haltung annehmen in der Gewissheit, daß sie mit Zinsen belohnt wird. Das Gegenteil heißt, vor Angst hinter den Kulissen zittern, Phantasie, Imagination und Reiz des Theaters töten, das immer, immer Kunst ist, immer erhabene Kunst sein wird, wiewohl es eine Zeit gegeben hat, in der man Kunst alles nannte, was geschmacklos war, um die Atmosphäre herunterzudrücken, die Poesie zu zerstören und aus der Bühne einen Ort zu machen, der den Winden von allen Seiten ausgesetzt war. Kunst über alles. Edelste Kunst; und ihr, liebe Schauspieler, vor allem Künstler, Künstler vom Scheitel bis zur Sohle, da ihr ja aus Liebe und Berufung auf die Bretter gestiegen seid, die eine erdichtete, schmerzvolle Welt bedeuten. Künstler aus Eingenommenheit und Voreingenommenheit. Vom bescheidensten bis zum hervorragendsten Theater soll man das Wort "Kunst" an die Zuschauerräume und Schauspielergarderoben schreiben; geschieht das nicht, wird man das Wort "Handel" anschreiben müssen oder einanderes, das ich nicht auszusprechen wage. Und Rangordnung, Disziplin, Opfergeist, Liebe. Ich will euch keine Lehren erteilen: ich befinde mich selbst in der Lage, Lehren anzunehmen. Begeisterung und Gewissheit haben mir meine Worte diktiert. Ich bin nicht verträumt. Ich habe oft und kühl durchdacht, was ich denke, und als guter Andalusier besitze ich das Geheimnis der Kühle, weil mein Blut alt ist. Ich weiß, daß nicht der die Wahrheit zu eigen hat, der "heute, heute, heute" sagt und sein Brot direkt am Backofen isst, sondern der, der mit heiterer Ruhe in der Ferne das erste Leuchten des Tagesanbruchs auf den Feldern sieht. Ich weiß, daß nicht der recht hat, der "sofort, sofort, sofort" sagt, wobei er seine Augen auf die kleinen Schlünde der Schalter heftet, sondern der, der "morgen, morgen, morgen" sagt und das neue Leben kommen fühlt, das über der Welt schwebt. siehe: http://www.theater-schauspiel-oper.de/lorca.html
 
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