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Das veruntreute Wort, von Ingrid Mylo
 
http://www.literaturblatt.de/heftarchiv/heftarchiv-2005/32005-inhaltsverzeichnis-der-gedrucken-ausgabe-32005/das-veruntreute-wort-eine-polemische-betrachtung-zum-uebersetzen.html Das veruntreute Wort: Eine polemische Betrachtung zum Übersetzen Katherine Mansfield kann das: eine einzige Geste so feinnervig und dabei so unverblümt beschreiben, dass Wahrheiten darin aufschimmern, die beim Lesen einen ganzen Geröllrutsch von Gefühlen auslösen. Gesten wie das auffordernde, aber vergebliche Anschubsen einer toten Fliege in einem Tintentropfen, das perfektionierte Lauschen einer alten Lehrerin, die dabei so tut, „als würde sie nicht zuhören“, die Verachtung, mit der eine schöne Frau im Park einen Veilchenstrauß wegwirft, „als sei er vergiftet worden“. Scharf und so zart, dass man den Schmerz erst Sätze später spürt, schneidet Mansfield durch Verstellungen und Attitüden und Schutzschichten bis auf die Knochenhaut und legt die Empfindungen frei. Die Einsamkeit der Sonntagnachmittage, die Sehnsucht, verstanden zu werden, die Hoffnung auf ein glücklicheres Leben, während man Hüte verkauft oder sich – in Ermangelung eines Prinzen – von einem breit gebauten Herrn im Café de Madrid zum Brandy einladen lässt. Und ihm anschließend folgt, hinaus in den Abend. Geschichten, hellsichtig und von verhaltener Innigkeit und oft genug unbarmherzig komisch, wenn sich ein „literarischer Herr“ bei seiner Putzfrau nach dem Tod ihres Enkels erkundigt: „Ich hoffe, die Beerdigung war – ein – Erfolg?“ Geschichten, bei denen Lesen, Begreifen und Fühlen eins sind und über den Rand der Seite hinausreichen ins eigene Leben. Wenn man sie im Original liest, auf Englisch. Denn Mansfield, die – vehementer als sonst ein Schriftsteller – auf Detailtreue bestanden und um genau den richtigen Ausdruck an genau der richtigen Stelle hart gekämpft hat, die akribisch an der Länge und dem Klang eines jeden Satzes gefeilt hat, an Rhythmus und Melodie, und dabei so klar und schön und einfach wie möglich war: das ist so schwer zu übersetzen wie Gedichte und kann nicht anders, als unterwegs in eine andere Sprache zu verlieren. Das weiß man, und das nimmt man hin. Was man nicht hinnehmen kann, sind die deutschen Übersetzungen von Elisabeth Schnack, die über lange Jahre hinweg ihre Finger in unzähligen Erzählungen und Romanen aller möglichen angelsächsischen Schriftsteller drinhatte. Was sie veranstaltet, hat allerdings weniger mit diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten zu tun als vielmehr mit ihren eigenen Marotten. Schnack überträgt nicht, sie bearbeitet, und dieses Bearbeiten läuft auf Verharmlosung hinaus. Sie neigt beispielsweise dazu, in Verkleinerungsformen zu schwelgen, aus einem „Zimmer“ ein „Zimmerchen“ zu machen, ohnehin schon „kleine Augen“ werden „kleine Äuglein“, und wo bei Mansfield „Handkarre“ steht, kriegt man bei Schnack ein „Handwägelchen“ angedient. Wie nett. Wie niedlich. Und wie weit von Mansfield entfernt, der alles Betuliche und Verwischte verhasst war. Was noch? Schnacks leidiger Hang zum Dramatisieren: Mit Ausrufe- und Fragezeichen überwürzt sie Passagen, während im Original nichts dergleichen steht, und einen Punkt verwandelt sie nach Gutdünken in einen Gedankenstrich, als würde nicht ein neuer Satz beginnen, sondern eine Ungeheuerlichkeit. Wo ihr ein „sagte sie“ bei Mansfield zu schwach erscheint, schraubt sie es eigenmächtig zu einem „jammerte sie“ hoch und überhitzt damit den Stil an dieser Stelle. Und weil ihr Mansfield offensichtlich nicht genügt, dichtet sie hin und wieder ein wenig Schnick-Schnack dazu. „Große Tropfen hingen an den Büschen und wollten nicht fallen“, heißt es in „At he Bay“ („Big drops hung on the bushes and just did not fall“), Schnack schmiedet daraus: „Große Tautropfen hingen an den Büschen und zauderten zitternd“. „Zauderten zitternd“ – also wirklich. Und eine Stimme, die „losdröhnt“, „stimmt“ bei Schnack lieber „ein Verslein an“. Mit Mansfield hat es nichts zu tun. Ein anderes, inzwischen legendäres Beispiel ist Federico García Lorca. In seinem Fall hat es der Übersetzer Enrique Beck – sogar rechtlich abgesichert – fertig gebracht, keinen anderen deutschen Lorca-Übersetzer neben sich zu haben. So konnte er sorglos und ungehindert seine eigenen verblasenen Vorstellungen von Lyrik absondern. Ambitioniert und unbegabt hat er die Schlichtheit des spanischen Dichters in ein Rankenwerk rüschenreicher Pennälerpoesie verkehrt. Seine gestelzten, mit Genitiven verzwirbelten, schwülstigen Versionen haben einem jahrzehntelang (erst seit kurzem sind weitaus bessere Übertragungen im Umlauf) den Geschmack an Lorca verdorben. Selbst eine aus einfachen Worten bestehende und unmissverständlich klare Gedichtzeile wie „Das Schiff auf dem Meer“ (aus „Romance somnámbulo“) reißt er sich noch unter den Nagel: „Barke auf des Meeres Wasser“, findet Beck, klingt besser. Finden andere vielleicht auch, ist aber nicht Lorca, sondern Rufmord, Leichenfledderei. [...] Wenn es auf Qualität offenbar nicht ankommt, wenn die Masse bereitwillig schluckt, was an Minderwertigem an sie verfüttert wird, warum sollten sich die Verlage da die Mühe machen und auf Niveau achten? Das Geschäft funktioniert doch auch so. Also haut Wagenbach Katherine Mansfield gleich noch einmal in die Pfanne und wirft in diesem Frühjahr eine Sammlung ihrer Kurzgeschichten in den entstellenden Versionen von Elisabeth Schnack auf den Markt – dabei gab es bei Manesse eine weitaus angemessenere Übersetzung von Ruth Schirmer. Und neben einigen Neuübersetzungen von Gárcia Lorca steht die Werkausgabe bei Insel immer noch in Enrique Becks Poesiealbum-Versen herum. Von: Ingrid Mylo, Jahrgang 1955, lebt als Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Frankfurt a.M. und Kassel. 1998 erschien ihr Essay Katherine Mansfield im Verlag Neue Kritik, zuletzt der Prosaband Das Treppenhaus und andere Landschaften im Verlag Das Arsenal, Berlin 2004.
 
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